Ein Bayer in Lübeck

Sie haben es bereits gehört? Der Hering ist schon wieder Fisch des Jahres. Tatsache! Hat sich der Deutsche Angelfischerverband doch auch 2022 dazu entschlossen, Clupea Harengus – so heißt er, der Atlan­tische Hering – abermals zum Fisch des Jahres zu küren. Im Verband herrschte die Auffassung, dass dieser Fisch wegen der Corona Pandemie 2021 nicht die Aufmerksamkeit be­kommen hatte, die ihm zusteht. Zum einen aufgrund seiner Bedeutung für das Ökosystem und zum anderen wegen der prekären Situation, in der sich die Heringsbestände, wie auch der Dorsch, in der westlichen Ostsee befinden.

Den Hering haben wir Ihnen also bereits im vergangenen Jahr näher gebracht – und ganz ehrlich, mit dem silbrigen Meeresfisch konnten wir in unseren südlichen Gefilden eher weniger anfangen, ist doch bish­er noch kein Hering die Isar hinauf geschwommen.

Dennoch galt es für mich schon 2021, der Faszination Hering anglerisch nachzuspüren und mir dabei auch die Frage nach seiner heutigen kulturel­len Bedeutung zu stellen. Begrün­deten doch ehemals ganze Imperien wie die norddeutsche Hanse ihren Erfolg auf Heringsfang und -handel.

Also Saisonbeginn abwarten (die Heringe ziehen zwischen März und Mai von der Ostsee aus die Flüsse hi­nauf, um im Brackwasser zu laichen) und ab nach Lübeck, der ehemalig wichtigsten Hansestadt, die wirklich immer eine Reise wert ist.

Dabei lohnt sich das Fischen dort auch deshalb besonders, weil die echten Herings-Hotspots allesamt die Trave der nördliche Altstadt flank­ieren und vom Stadtzentrum perfekt zu erreichen sind. Streetfishing in his­torischer Kulisse also!

Dass das Heringsangeln zumindest in Sachen Ausrüstung dem Renken­fischen ähnelt, stellte ich nicht zu­letzt im lokalen Angelladen fest: an die Schnur kommt ein Paternoster System mit Fliegen, die Kleinfische imitieren sollen. In Lübeck sind dabei nur zwei solche Seitenarme erlaubt, dafür kommt ein dickes Heringsblei ans Ende der Montage. Das Blei kann aber auch durch einen breiten Löffelblinker ersetzt werden, der das Ganze dann langsamer und damit effektiver auf die richtige Tiefe bringt.

Am Wasser zeigte sich dann sch­nell, dass die Heringssaison in vol­lem Gange war. An manchen Spots standen die Angler im Abstand von nur einem halben Meter, um sich die Eimer voll zu machen. Und – ganz klar – das mag für viele Fischer den großen Reiz des Heringsangelns ausmachen: Für kleines Geld kommt später viel Fisch auf den Tisch. Die Fangaussichten sind hervorragend und die Angelei im wahrsten Sinne ein Kinderspiel – und dabei ist der Hering ein ausgezeich­neter Kämpfer am leichten Gerät.

Aber auch eine andere Sache stellte ich fest – der Fisch ist ein echter In­tegrationsstifter – ob jung ob alt, ob Bayer oder Nordlicht, ob topfit oder am Rollator – der Hering versammelt sie alle Jahr für Jahr wieder und sorgt für beste Stim­mung an den Kaimauern.

Diese sollte sich auch bei mir ein­stellen: Nach kleinen Startschwierig­keiten hatte ich dank der tatkräftigen Unterstützung der Locals bald die ersten Fische im Eimer, die später als eingemachte Bratheringe die Heim­reise nach Bayern antreten sollten. Und glauben Sie mir, geschmacklich können dagegen alle Fischkonserven einpacken. Damit hatte sich auch mir als Bayer die Faszination Hering nun wirklich vollkommen erschlossen.

Natürlich gibt es anspruchsvollere Zielfische und natürlich hätte der Hering auch ein gewisses Baglimit verdient. Doch die tolle Atmosphäre der Hansestadt im Zusammenspiel mit der frühlingshaften Aufbruch­stimmung werden mir definitiv wied­er eine Reise wert sein. Denn hey, den Hering kann man auch mit der Flugangel fangen!

Stefan Zehentmeier